Zum Hauptinhalt springen

Wenn Bayern zum Auslaufmodell wird

Klimawandel, steigende Niederschlagsmengen, Versiegelung von Grünflächen: Die unterirdische Infrastruktur stößt an ihre Belastbarkeit und stellt die Wasserwirtschaft folglich vor große Aufgaben und Herausforderungen. Dabei wird KI immer wichtiger. Wie können auch Kanäle saniert werden, die eigentlich nicht sanierbar sind? Das zeigte die 21. Münchner Runde 2024 – Expertenforum zur Kanalsanierung am 17. Oktober in Fürstenfeldbruck.

Durch das Programm führten Prof. Dr.-Ing. F. Wolfgang Günthert und Prof. Dr.-Ing. habil. Bert Bosseler, die seit den Anfängen die Fachtagung moderieren und wissenschaftlich begleiten. Den spannenden Beiträgen der Referenten schlossen sich wieder engagierte Diskussionen mit dem Publikum an.

Rückblicke sind nicht seine Art: Professor Wolfgang Günthert (Deutscher Expertenrat für Umwelttechnologie und Infrastruktur e. V.) schaut lieber nach vorn. „Sie tun was für die Umwelt und Gesellschaft“, adressierte er an die 280 Teilnehmer der 21. Münchner Runde 2024 und ging in seiner Einführung zum diesjährigen Expertenforum zugleich auf die künftigen Herausforderungen der Branche ein: Die Auswirkungen des Klimawandels und des anhaltenden Flächenfraßes allein in Bayern rücken in den Fokus der Veranstaltung. Die Wasserwirtschaft steht vor großen Aufgaben.

Nach Angaben des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie lag der Flächenverbrauch 2023 im Freistaat bei durchschnittlich 12,4 Hektar pro Tag. „Bayern ist ein Auslaufmodell“, verwies Wolfgang Günthert auf das Problem zunehmender Versiegelung von Grünflächen und damit dem Wegfall von Bäumen als wichtiger CO2-Speicher: „Uns geht das Wasser aus. Es läuft uns weg ins Schwarze Meer – Wasser, das gebraucht wird.“ Die Entwässerungssysteme in Bayern sind nicht mehr aufnehmbar für steigende Niederschlagsmengen als Folge des Klimawandels mit höheren Durchschnittstemperaturen. Die Sanierung sollte daher das Gesamtsystem, also das Kanalgrundsystem und das Oberflächensystem, im Blick haben. „Es ist ganz wichtig, dass auch die oberen Sicherungssysteme halten“, machte Günthert deutlich. „Die Kanalsanierung muss immer im Kontext gesehen werden.“

Aktuellen Themen aus dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz (StMUV) widmet sich traditionell der erste Vortrag. Referentin Eva Schnippering erläuterte die wesentlichen Änderungen/Neuerungen der Kommunalabwasserrichtlinie (KARL). So sind die Anforderungen für Kläranlagen verschärft worden, was die stufenweise Reduktion von Phosphor und Stickstoff bis 2039 beziehungsweise 2045 betrifft. Ziel der Richtlinie ist auch die Verringerung der Verschmutzung durch Mischwasserüberläufe. Kläranlagen in Siedlungsgebieten mit mehr als 150.000 Einwohnern und in Risikogebieten mit mehr als 10.000 Einwohnern müssen künftig eine vierte Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination haben. Es gilt – stufenweise umzusetzen bis 2045 – Indikatorsubstanzen um mindestens 80 Prozent zu reduzieren. Die Konzentration von Mikroschadstoffen stellt ein Risiko für die menschliche Gesundheit und Umwelt dar und ist bis Ende 2030 auszuweisen.

Energieaudits sind bis Ende 2023 verpflichtend und müssen alle vier Jahre wiederholt werden. Ziel ist: Energieneutralität schrittweise bis Ende 2045. Zum Stand der RZWas 2025 teilte Schnippering mit, dass die neue Richtlinie noch in Abstimmung ist. Am 1. Januar 2025 soll sie – mit einer Gültigkeit von vier Jahren – in Kraft treten, Der Freistaat fördert seit 2016 die Sanierung bestehender Wasserleitungen, Abwasserkanäle, Kläranlagen usw. Abschließend überblickte die Referentin kommunale Konzepte zum Sturzflut-Risikomanagement und stellte die Kanalplakette „Kein Schmutzwasser in diesen Gully“ vor – ein Pilotprojekt der Stadtwerke Landshut mit dem StMUV und der DWA zur Sensibilisierung der Bürger.

Herbert Bichler zeigte den Umgang mit schadhaften Hausanschlüssen bei der Münchner Stadtentwässerung auf, sowie die Niederschlagswasserabtrennung im Bestand. Niederschlagswasser belastet das Kanalnetz und die Kläranlagen und sollte daher ortsnah bewirtschaftet werden. Es dient der Grundwasserneubildung und ist zur Gartenbewässerung oder als Betriebswasser nutzbar. Der Vortrag befasste sich hierzu mit Möglichkeiten der Flächenentsiegelung – von zum Beispiel Stellplätzen – und was verschiedene Versickerungsanlagen (Schachtversickerung, Rohr-Rigolen-Versickerung, bepflanzte Muldenversickerung) bewirken.

Daniel Ulbrich (Dr.-Ing. Percher und Partner) berichtete über den Abschluss des Projekts „Auzuka“ (Automatische Zustandsanalyse Kanalnetz durch virtuelle Begehung), das im Gebiet Tübingen-Bebenhausen untersuchte, wie mit KI die Kanalinspektion optimiert werden kann. Die Schadenserfassung erfolgte mittels Schwenkkopfkamera. Hierzu wurde das Assistenzsystem „Sarida Edge“ – mit KI-gestützter Echtzeit-Analyse des Inspektionsvideos – sowie eine cloudbasierte Online-Plattform für den Datenaustausch entwickelt und mit der herkömmlichen Kanal-Zustandserfassung vor Ort verglichen. Im Ergebnis leistete die KI nur Unterstützung, vor allem für den unerfahrenen Kanalinspekteur. Fachkräfte werden weiterhin gebraucht. Die herkömmliche Zustandserfassung ist immer noch die wirtschaftlichere Lösung.

Wir haben bei der Kanalsanierung und -Instandhaltung unglaublich viele Daten“, merkte Wolfgang Günthert an. „Künstliche Intelligenz hilft, diese Daten zu managen, besser nutzbar und verwendbar zu machen und damit unsere Sanierungsstrategien zu verbessern. Das heißt aber nicht, dass wir weniger Personal brauchen. KI wird Fachkräfte und Personal nicht ersetzen. Aber in Zeiten des Fachkräftemangels steht weniger Personal zu Verfügung. Die Firmen müssen mit weniger Personal auskommen, und da unterstützt KI.“

Die Stadt Ettlingen baut ein datenbasiertes, nachhaltiges Infrastrukturmanagement für die Zustandsbewertung von Straßen und Kanälen in Kombination auf. Daniel Schwab und Christian Baeßler stellten dazu wegweisende Konzepte vor, wie Straßen als Entwässerungseinrichtung in Zukunft höhere Niederschlagsmengen – wie sie durch den Klimawandel zu erwarten sind – in den Griff bekommen, damit sie abfließen können. Straßen und Kanäle werden zur Entwässerung kombiniert und zusammenführende Sanierungsstrategien entwickelt. Das Projekt der Stadt Ettlingen zielt hier auf Synergieeffekte. Der zugrunde liegende Mehrspartenansatz geht in seiner Betrachtung über den Umfang der ausschließlichen Sanierung von Entwässerungssystemen hinaus. Er versteht die Sanierung von Entwässerungssystemen als Teil einer infrastrukturellen Gesamtmaßnahme. Volkswirtschaftliche Belange treten dabei in den Vordergrund.

Das Nachmittagsprogramm startete mit Unternehmenspräsentationen im Fünf-Minuten-Takt, die von Professor Bert Bosseler (IKT gGmbH) moderiert wurden. Fachfirmen brachten wieder Trends, Know-how und Best-Practice auf die Bühne und informierten über Produktinnovationen und Dienstleistungen aus ihrem Haus. Sehr spannend war auch der Vortrag von Andreas Brosche vom Bayerischen Landeskriminalamt zum brisanten Thema Cyberangriffe. Immer mehr Unternehmen sind davon betroffen. Brosche schilderte anschaulich, was alles passiert, wie die Täter beziehungsweise Hacker vorgehen, Betriebe völlig lahmlegen können und sensible Daten stehlen. Die Handlungsempfehlungen der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) in Bayern zeigen, wie sich Unternehmen vor Cyberangriffen schützen und sich verhalten, wenn sie erpresst werden. Es werden Schulungen zu Präventivmaßnahmen angeboten und die Teilnehmer üben den Ernstfall.

Wie marode die unterirdische Infrastruktur in Deutschland ist und die Sanierung von Kanälen hinterherhinkt, wurde in den Ausführungen von Sebastian D. Beck (Wirtschaftsbetriebe Duisburg – AöR) offensichtlich. Den Zustand der Kanalisationen bezeichnete er „nach wie vor eher dürftig“. Die Sanierung steht im Stau. Der Vortrag behandelte die Sanierung von Kanälen, die eigentlich nicht sanierbar sind. Mit „nicht-sanierbare Kanäle“ sind Haltungen/Schächte gemeint, die aufgrund von strukturellen Schäden (z. B. starke Risse, Brüche, Hohlräume, Korrosion) in der Regel nicht in geschlossener Bauweise renoviert oder repariert werden können. Beck zeigte Beispiele aus der Praxis der grabenlosen Sanierung, dass es geht: Haltungen können als Sofortmaßnahme geschlossen saniert werden. Bei starker Korrosion in der Haltung ist als Vorarbeit für den Schlauchliner eine vollumfängliche Reprofilierung der Haltung im Ausschleuder-Verfahren notwendig. Der Spezialmörtel wird mit Wasser vor Ort gemischt und mittels Schleudermotor auf die Kanalwand aufgebracht und anschließend mit einer passenden Blase geglättet. Bei der grabenlosen Sanierung muss sichergestellt sein, dass keine Hohlräume verbleiben.

Josef Aschl (Swietelsky-Faber GmbH) überblickte die Mantelverordnung zum Umgang mit mineralischen Abfällen und Boden-Aushubmaterialien beziehungsweise deren Entsorgung und Wiederverwertung. Dazu ist in 2023 auch die neue Ersatzbaustoffverordnung in Kraft getreten. Nach wie vor nicht geregelt ist das Ende der Abfalleigenschaft. Die Umsetzung der komplexen Regelwerke bereitet Betrieben größere Probleme: Das reicht vom bürokratischen Aufwand bis zu Wissensdefiziten in der Klassifizierung und Zulässigkeit der mineralischen Ersatzbaustoffe – auch bei den Behörden. Entlang von Flusslandschaften beispielsweise ist es vielfach nicht mehr möglich, mit recyceltem Material zu bauen. Eigene Bund-Länderpapiere stufen unter anderem neu geregelte und bestens untersuchte Materialien als wassergefährdend ein. Im gleichen Atemzug bleiben alte Materialien nach den alten Regelungen nicht-wassergefährdend. Das verstehe, wer will!

Professor Wolfgang Günthert kritisierte in seiner Moderation zum Abschluss der 21. Münchner Runde 2024 den überbordenden Bürokratismus in Deutschland, der mit solchen Verordnungen einhergeht und der Branche das Leben schwer macht: „Wozu brauche ich fünf verschiedene Regelwerke zu einem Thema wie Umwelt?“ Noch dazu, wenn einzelne Sachverhalte von Bundesland zu Bundesland anders geregelt sind und sich widersprechen, oder bundesweit gültige Regelungen durch Länder-Bestimmungen wieder aufgehoben werden und dadurch Verwirrung stiften. Ob Bodenschutzverordnung, Emissionsschutzverordnung, Ersatzbaustoffverordnung, Mantelverordnung oder Kreislaufwirtschaftsgesetz – „man würde allen einen Gefallen tun, wenn man daraus die Hälfte streichen und sich auf das Wichtige konzentrieren würde.“

Produkte, Dienstleistungen – und im Außenbereich gab es noch mehr Technik in Aktion zu erleben: 60 Aussteller aus der Praxis der Kanalsanierung und -instandhaltung flankierten heuer das Expertenforum und informierten über ihr Angebot. Ob mobile Wasseraufbereitungsanlagen, Pumpen, Kanalinspektionssysteme, Kameras oder Roboter im Inliner-Einsatz – es war einiges geboten. Das Veranstaltungsforum Fürstenfeld, früher ein Kloster und heute ein bedeutendes Kulturzentrum in Bayern, ist für die Münchner Runde die ideale Location. Man kommt schnell miteinander ins Gespräch – nicht zuletzt beim beliebten Vorabendtreff im Klosterstüberl Fürstenfeldbruck. So geht Networking, werden Erfahrungen und Wissen ausgetauscht und nützliche Geschäftskontakte geknüpft!

Das Filmteam der Münchner Runde hat unter der Moderation von Barbara Nilkens (Nilkens Ingenieurbüro für Baukommunikation) wieder tolle Eindrücke gesammelt – zu sehen auf: Film ab

 „Wie können wir uns an den Klimawandel anpassen?“ Das wird Thema des nächsten Expertenforums sein. „Wir alle, die heute dabei waren, können dazu beitragen, die negativen Folgen des Klimawandels zu minimieren. Dem werden wir uns vermehrt widmen“, kündigte Professor Wolfgang Günthert an. Die 22. Münchner Runde findet am 16. Oktober 2025 statt. „Meet the Practice“ ist dann auch wieder das Angebot für Azubis und Studierende, die später als Facharbeiter, Techniker oder Ingenieure arbeiten wollen. Im Rahmen der Fachtagung können junge Menschen Einblicke in Berufe mit Zukunft gewinnen, sich mit Branchenprofis treffen und informieren, wie es in der Praxis läuft. Die Teilnahme ist kostenlos.